Zum dritten Mal in Folge habe ich die Ehre bei der „Nostalgia Night“, im Rahmen des Festivals 360° Orient, von Delanna, in der Begleitung von Livemusik von Mazzikatea Europe, einen tänzerischen Klassiker in Anlehnung an die Goldene Ära des orientalischen Tanzes und in eigener Interpretation darzubieten. Dies ist für mich immer wieder eine Herausforderung und ein Genuss.
Wie zu
jeder Zeit, spiegelt der Tanz das jeweilige Lebensgefühl einer Gesellschaft
wieder. So auch in Ägypten, Mitte des vorigen Jahrhunderts, das von Fortschritt
und Offenheit geprägt war.
Die Goldene Ära des orientalischen Tanzes markiert für mich den Zeitpunkt, an dem der Tanz, bis dahin vor allem eine rituelle und häufig folkloristische Tradition, auf die Bühne gestellt wurde und somit einer völlig neuen Perspektive „ausgesetzt“ wurde. Der Perspektive des Zuschauers. Damit wurden neue ästhetische Standards gesetzt. Tanz wurde „künstlerischer“. Dazu gehört auch, dass die Musik von der Tänzerin interpretiert wurde. Die Persönlichkeit der Tänzerin, ihre Art, die Musik zu hören, zu erleben und zu vermitteln rückte in den Vordergrund. Wie wir in zahlreichen Filmen sehen können, waren die Ausstrahlung einer Tänzerin und ihre Musikalität die prägenden Qualitäten ihrer Auftritte. Die Tänzerinnen schulten und verfeinerten ihre Tanztechnik und kleideten sich in reizvollen Kostümen. Einige von ihnen wurden zu Stars erhoben: Samia Gamal, Tahia Carioca und Naima Akef, später Suheir Saki, Nagwa Fuad u.a. Das, was wir heute Raqs Sharqi nennen, wurde damals geboren.
Den Blick auf die Goldene Ära richtend, fallen mir ägyptische Schwarzweißfilme der 50er und 60er Jahre ein, sehr lyrische zarte und auch prachtvolle Musikstücke, die speziell für die Tanzszene bzw. für die jeweiligen Tänzerinnen komponiert wurden. Große Orchester wurden notwendig um den Stil- und Facettenreichtum der klassischen ägyptischen Musik umzusetzen. Die Bewegungen der Tänzerinnen wurden raumgreifend, die Gliedmaßen gewannen, bei der sonst so starken binnenkörperlichen Betonung des Tanzes, an Bedeutung. Fremde Tanztraditionen, wie das Ballett, aber auch andere fremdländische Stile, wie südamerikanische Tänze z.B., flossen ins Tanzrepertoire des orientalischen Tanzes ein. Die Tänzerinnen schlüpften in verschiedenen Rollen: der Vamp / das naive Mädchen / die Verführerin / die Exotin / die Unnahbare… Es eröffneten sich völlig neue Ausdrucksmöglichkeiten, die das Ziel hatten, die Zuschauer möglichst abwechslungsreich und auf hohem Niveau zu unterhalten. Das Tanzrepertoire war vielseitig – neben klassischen Stücken wurden Baladi, Folklore sowie Kreationen der Fantasie und stilistische Fusionen dargeboten.
Ich habe seit vielen Jahren eine persönliche Vorliebe für die Stilrichtung der frühen „Goldene Ära“. Komponisten wie Mohamed Abdel Wahab und Farid al Atrache gehören zu meinen Lieblingskomponisten. Zu deren Musikstücke tanze ich immer wieder gern und fühle mich von ihnen stark emotional berührt. Das Thema „Goldene Ära“ gibt mir die Möglichkeit zu spielen – kokett sein, verführerisch sein, divenhaft sein, süß sein, anmutig sein, unantastbar sein, verrucht sein, lustig sein, hingebungsvoll sein… was auch immer mich gerade in der Musik inspiriert. Die Musik lädt dazu ein, den ganzen Raum zu nutzen und mit Bewegungen zu füllen. Mit Zimbeln und Schleier, die ich sehr gern verwende, lassen sich die Bewegungen potenzieren. Die kunstfertige Musik stellt in vielen Stücken eine brillierende Atmosphäre her. Dabei mutet ihr Klang, vom Fernweh berührt, verliebt, verträumt, ja nostalgisch an. Häufig hat die Musik einen besonders lyrischen Charakter (wie hier, im Video zu „Kharamana“ https://www.youtube.com/watch?v=DaqX7FoJrHA&feature=youtu.be). Dies empfinde ich so, als würde die Musik zu mir sprechen. Mit ihr in Dialog treten zu dürfen ist für mich als Tänzerin ein besonderes Geschenk.
Kommt, spielt ein Lied aus Bäumen und lasst noch als sie reifen mich diesen Wald durchstreifen als Blatt im Wind und träumen. Der Atem meiner Schritte im Luftzug eurer Klänge verhallt für eine Länge und sucht erneut die Mitte. Ich brenne winde schleifen Bin beides Hand und Flamme und tanz‘ von Stamm zu Stamme ein Waldbrand im Ergreifen. Nun spielt mir eine Flut So füllt die grünen Lungen und löscht zum Fluss gesungen den Tanz und seine Glut.
Farida Fahmy war seit den 60er Jahren Mitbegründerin und Solotänzerin der Reda-Troup in Ägypten. Ihr Tanz – geprägt von folkloristischen Elementen, historischen Tänzen und dem Ballett – zeichnete sich aus durch eine hohe Ästhetik und brillierender Anmut. Die Shows der Reda-Troup sind wegweisend für die Entwicklung des orientalischen Tanzes als Bühnenform. Die Auseinandersetzung mit dem spezifischen Tanzvokabular Farida Fahmys hat mich beflügelt. Ich habe es sehr genossen diese Choreographie von Mohamed Kazafy, im Rahmen von „Nostalgia Night“ 2019 / „360 Grad Orient“ – Festival von Delanna, in der Begleitung von „Mazzikatea Europe“ zu präsentieren.
Der orientalische Tanz entspringt, um es in Anlehnung an Friedrich Nietzsches ästhetischen Betrachtungen zu sagen – „aus dem Geiste der Musik“. Daher kann er gerade im Zusammenspiel mit Livemusik in seinem ganzen Facettenreichtum erscheinen. Durch das Wechselspiel der Instrumente, ihre Variationen in Rhythmus, Lautstärke und Dynamik ruft Livemusik feinste Nuancen hervor, provoziert Stimmungen und Emotionen und bringt die Kompositionen auf immer wieder einzigartiger Weise neu hervor. Es ist ein besonderer Reiz für jede Tänzerin, jeden Tänzer, solche Reichhaltigkeit aufzugreifen und in individueller Performance wiederzugeben. Mehr noch, die Tänzer treten in einen Dialog mit den Musikern und haben die Chance, die Musik selbst zu beeinflussen und mitzukreieren.
Diese enge Liaison zwischen Instrument und Tänzerin zu erahnen, zu erspüren, zu erfahren ist das Hauptanliegen der von Guy Schalom ins Leben gerufenen „Real Music Academy“ zu deren Jahrgangsfinale diese Show präsentiert wird. Kommt zum Schauen, Hören, Staunen, Fühlen und Mittanzen.
„Die Tanzenden wurden für verrückt gehalten von denjenigen, die die Musik nicht hören konnten.„ Friedrich Nietzsche
Die Auseinandersetzung mit orientalischem Tanz bedeutet für mich neben der kulturhistorischen und musiktheoretischen Erforschung des Tanzes auch die Tänzerin in mir zu entdecken, zu fördern, zum Erblühen zu bringen. Durch unendlich viele Schritte – mal vorwärts, mal rückwärts – wird der (eigene) tänzerische Weg ergründet und in stilistische Bahnen gelenkt. Dazu gehört es auch, hin und wieder, Stationen meiner Reise, mit einem Publikum zu teilen, wie hier, mit diesem Video – eine kleine Improvisation zu „Tamra Henna“.
Der orientalische Klassiker der Hennablume begleitet mich seit den Anfängen meiner tänzerischen Vita. In den vielen Variationen, die es bereits gibt, verlockt er unwiderstehlich mit seiner Leichtigkeit, Verspieltheit und Sinnlichkeit.
Tanz geht vom Körper aus und wird an seiner Oberfläche verwandelt. Hier verweben sich Linien und Rhythmen zu Mustern, die in ihrer Wirkung das Gesamtbild vom jeweiligen Tanzstil und zugleich die persönliche Interpretation des Tanzenden entwerfen. Der orientalische Tanz verfügt über ein breitgefächertes Bewegungsvokabular. Ruckartige, bis hin zu vibrierende Bewegungen, ausladende Schwünge und weite Kreise, endlos scheinende Spiralen sowie sanft fließende, sich schlängelnde und wiegende Bewegungen wechseln sich ab und werden zu einem harmonischen Ganzen zusammengefügt. Dissoziierte Bewegungsmuster variieren mit der Kompaktheit und Stabilität, die durch die Konzentration auf die Körpermitte zustande kommt.
Doch die Oberfläche des Tanzes ist nicht gefangen durch die Konturen des Körpers. Kostüme im orientalischen Tanz zollen seinen erforderlichen Bewegungsqualitäten Tribut. Herunterbaumelnde Fransen, Perlen, Schnüre usw. untermalen die rhythmisch oszillierenden Bewegungen, während hauchzarte, nachgiebige und wallende Stoffe, Voiles, Schleier die geschmeidigen sowie die raumgreifenden Bewegungen auffächern und aus- oder teils sogar übermalen. Die arttypische Zweiteilung des Kostüms bringt die isolierten Bewegungsabläufe – die Trennung von Brustkorb und Becken, sowie die vielfältigen Bewegungsspektren des Bauches zum Vorschein.
Die Dynamik des Tanzenden dringt von innen nach außen und überträgt sich auf die getanzte Materie. Die Hülle – „die Verkleidung“ – wird zur Haut des Tanzes. Sie lässt die Bewegung in den Raum übergehen, umspielt und materialisiert sie.
Rainer Maria Rilke
Shawl
O Flucht aus uns und Zu-Flucht in den Shawl,
und, um die stille Mitte, das Begehren,
es möchte noch einmal und noch einmal
die unerhörte Blume wiederkehren
die sich vollzieht im schwingenden Geweb